Aus dem Stadtarchiv: Blick auf besondere Jubiläen und Gedenktage 2025


Das Stadtarchiv hat sich wieder mal auf Spurensuche begeben – und ist fündig geworden! Im zweiten Teil der Vorschau auf die bedeutendsten Jubiläumsdaten 2025 gibt Stadtarchivarin Sylvia Goldhammer einen Querblick über Ereignisse in Oberursel vor 80 Jahren.


08. Mai 1945 – Gedenken an das Kriegsende in Deutschland  – wie war es in Oberursel?

Am 22. März 1945 überquerten Einheiten der US-Armee unter General George S. Patton bei Oppenheim den Rhein und besetzten bis Anfang April die Gebiete Hessens, die Teil der amerikanischen Besatzungszone werden sollten. Am 29. März wurden Stierstadt und Weißkirchen, am 30. März Oberursel und Oberstedten eingenommen.  Die US-Streitkräfte besetzten zielgerichtet das im Norden Oberursels an der Hohemarkstraße gelegene, bis 1943 als Kriegsgefangenenlager benutzte Gelände des Dulag Luft, das die Nationalsozialisten dann nachrichtendienstlich als „Auswertestelle West“ genutzt hatten. Dort richteten sie zur juristischen und historischen Ermittlung von Kriegsverbrechen ein Interrogation Center ein, in dem hochrangige Personen aus Wirtschaft, Verwaltung und Organisationen des nationalsozialistischen Deutschlands vernommen wurden. Unter den zahlreichen Internierten des bis zu seiner Auflösung 1993 als Camp King bekannten Militärstützpunkts sind z. B. Flugkapitänin Hanna Reitsch, der frühere Reichsbankpräsident Hjalmar Schacht oder der Zahnarzt Adolf Hitlers, Prof. Hugo Blaschke, zu nennen. Blaschke musste während dieser Zeit ein Gebissmodell Adolf Hitlers erstellen, das zu dessen Identifizierung nach seinem Selbstmord am 30.04.1945 benötigt wurde.

Am 08. Mai 1945 kapitulierte das Deutsche Reich. Der totale Krieg war zu Ende.


Bis 1947 galt nun die Direktive JCS-1067 zur Verwaltung der amerikanischen Besatzungszone. Eine der Kernaussagen lautete: „Deutschland wird nicht besetzt zum Zwecke seiner Befreiung, sondern als ein besiegter Feindstaat“. Die Verbrüderung mit deutschen Beamten und der Bevölkerung wurde untersagt.

Für die politisch, religiös und rassistisch verfolgten Opfer und große Teile der Bevölkerung war die Besetzung dennoch eine Befreiung von Krieg, Terror und Todesgefahr.  Es galt nun, möglichst schnell neue, demokratische Verwaltungsstrukturen aufzubauen. Eine Vielanzahl an Bekanntmachungen und Anordnungen zur Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung wurde erlassen, denn es setzten unmittelbar Plünderungen und Gewalttaten ein.

 

Bild: Bekanntmachung Nr. 1, unterzeichnet von Heinrich Kappus in Vertretung für den des Amtes enthobenen NS-Bürgermeisters August Weß. Bildquelle: Stadtarchiv Oberursel, Bestand 15 Nr. 282

In kurzer Folge wechselten die von der US-Militärregierung eingesetzten Bürgermeister Heinrich Kappus, Ernst Wahl, Karl Pohlmann und zuletzt Werner Jaspert, der frühere Journalist der Frankfurter Zeitung. Kappus war Mitglied der NSDP und Wahl als Jurist in NS-Organisationen eingebunden. Pohlmann überbrückte eine viertägige Lücke zwischen Wahl und Jaspert. In Weißkirchen wurde Johann Kleebach und in Oberstedten Jean Sauer, beide SPD-Mitglieder, und in Stierstadt zunächst Georg Metzler, letzter NS-Bürgermeister, dann mit Nikolaus Bender ersetzt, zum Bürgermeister ernannt. Sie waren für die Umsetzung der von der Militärregierung erlassenen Anordnungen verantwortlich. Es wurden Bürgerräte oder Aufbauausschüsse mit politisch unbelasteten Bürgern zur Unterstützung eingerichtet.  In der Oberurseler Stadtverwaltung mussten von insgesamt 78 Bediensteten 46 aus politischen Gründen entlassen werden.

Es folgten in Oberursel und den Stadtteilen die Beschlagnahme von Wohnraum und Einrichtungen wie der Klinik Hohe Mark, dem Schwimmbad, von Waffen, Wein oder Fotoapparaten. Die Ausgangszeiten wurden beschränkt, man durfte den Wohnort nicht ohne Genehmigung verlassen, es fehlte an Kartoffeln, Mehl, Milch, Fleisch, Familien warteten auf die Heimkehr der Väter, es fehlte an Brennholz. Die Oberurseler Bürgerinnen und Bürger litten Not und waren politisch müde. Ende 1945 verschärfte sich die ohnehin bestehende Wohnungsnot der Bevölkerung, der Evakuierten und der Verschleppten noch nach Eintreffen von Flüchtlingsströmen aus den Ostgebieten. Viele Familien waren zeitweise sogar ohne Unterkunft.

Aber es gab auch Lichtblicke. Im Herbst konnte nach fast einjähriger Unterbrechung wieder ein Schulunterricht stattfinden. Die Straßenbahn fuhr wieder. Radio Frankfurt berichtete auch über Ereignisse in Oberursel

Es zeigten sich im Laufe des Jahres 1945 auch die ersten Regungen eines demokratischen Neubeginns. Auf Einladung der Amerikaner kam der Publizist und politische Intellektuelle Eugen Kogon nach Oberursel, der im KZ Buchenwald inhaftiert war. Auf dem Gelände des Camp Kings schrieb er das Standardwerk über die nationalsozialistischen Kriegsverbrechen „Der SS-Staat-das System der deutschen Konzentrationslager“. Er war an der Entstehung der im Herbst 1945 gegründeten CDU beteiligt und bildete mit anderen Intellektuellen und Politikern, z. B. Werner Hilpert oder dem kurzzeitigen Bürgermeister Oberursels Ernst Wahl, den Oberurseler Kreis, der wichtige Impulse für die neue Hessische Verfassung geben sollte.

Bereits im August 1945 wurden wieder Parteien zugelassen. Landesweit entstand ein Vier-Parteien-System, so auch in Oberursel aus SPD, KPD, CDU und LDP. In den Stadtteilen waren nicht alle Parteien vertreten. Im Januar 1946 fand in freier und geheimer Wahl in Oberursel und den Stadteilen die erste Kommunalwahl nach der nationalsozialistischen Machtergreifung statt.

 

Antje Runge

Bürgermeisterin